Fiscal Cliff - Das Unwort der letzten zwei Monate :mrgreen:
Finde die Ansicht von Beat Kappeler aus der NZZ am Sonntag noch witzig. Und wie recht er hat...
Amerika muss den Sprung über die fiskalische Klippe nicht scheuen
Die Lage der Finanzen in den USA ist ernst. Dennoch kommt das Gerangel vielen wie das Trotzen von Kindsköpfen vor.
«Würden die Erwachsenen im Saal mal bitte kurz aufstehen», schalt ein Kommentator die Politiker in Washington. Man kann tatsächlich verschiedene Versatzstücke aus der Spieltheorie auf diese ökonomischen und politischen Auseinandersetzungen anwenden. Materiell geht es darum, ob fällige Steuer- und Abgabenerhöhungen einerseits und Ausgabenreduktionen andererseits die Geldflüsse zwischen Staat und Bürgern ab Januar um etwa 4% des Bruttoinlandprodukts senken werden. Viele befürchten eine veritable Wirtschaftskrise. Das Spiel wird Ernst.
Am verständlichsten ist das «chicken game», das Spiel um das ängstlichste Huhn. Jugendliche der USA fahren manchmal im Wagen gegen einander los. Wer zuerst ausweicht, hat verloren. Dies ist auch das Spiel des wiedergewählten Präsidenten, der auf seine gewachsene Gefolgschaft pocht sowie auf sein Programm, nach dem Sieg die Reichen stärker zu besteuern.
Die Führer der republikanischen Partei wiederum wollen sich nicht als Kompromissler gegenüber ihrer Tea-Party-Fraktion zeigen. Eine Mehrheit der Abgeordneten soll dem selbsternannten Aktivisten Grover Norquist feierlich in die Hand geschworen haben, nie höheren Steuern zuzustimmen. Des Weiteren sicherten sich die Republikaner die Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Sie berufen sich also ebenfalls auf des Volkes Willen. Im kompetitiven Amerika gilt jene Seite, die nachgibt, schnell als feiges Huhn.
Ähnlich erklärt das Konzept der «Pfadabhängigkeit» die harte Linie der beiden Seiten. Diese haben nun vier Jahre lang oder länger ihren Pfad, ihre Positionen ausgelegt und von den Wählern bestätigen lassen. Die Parteien sind um innere Geschlossenheit besorgt. Ändert deren Leitung plötzlich die Richtung, droht die Rebellion der Abgeordneten, der Wähler und der Geldspender. Der Präsident und die Führung der Republikaner sind Gefangene ihres bisherigen Pfades.
Immer wieder bemüht wird das Gefangenen-Dilemma. Zwei Übeltäter werden gefasst und getrennt inhaftiert. Beiden verspricht man die Freiheit, wenn sie den anderen anschwärzen. Eine hohe Strafe erhält aber jener, der nicht verpetzt, wenn nur der andere es tut. Angewandt auf Ökonomie und Politik heisst dies, die Interessen und entsprechenden Schachzüge der Gegenseite ernst zu nehmen.
Abgeleitet auf die Fiskal-Diskussion der USA kann es zudem richtig sein, die Unterhändler der Gegenseite zu schonen, also nicht zu petzen und extreme Haltungen einzunehmen. Denn sonst übernehmen möglicherweise die Radikalen der beiden Parteien das Steuer, falls Präsident oder Republikaner-Führung diskreditiert sind. Dem Republikaner John Boehner ist dies schon passiert, als das Repräsentantenhaus letzte Woche gegen seinen Budgetvorschlag rebelliert hatte. Er kann höchstens noch dem Präsidenten drohen, er könne seine Leute nicht mehr zurückhalten, es brauche mehr Kompromisse.
In der Politik finden immer «Spielwiederholungen» statt. Die Unterhändler und ihre Parteien müssen während der ganzen Legislatur Probleme lösen. Verhandlungs-Schulden laufen dabei auf, die einzulösen sind. Nur so bleibt das Vertrauen erhalten. Vor einem Jahr versprachen die Demokraten gewisse für sie schmerzliche Einsparungen. Die Republikaner wiederum stimmten dem Wegfall der Steuerrabatte und einer höheren Schuldengrenze zu.
Diese Massnahmen sollten entfallen, wenn innert Jahresfrist das Budget tragfähiger gemacht worden wäre. Nichts geschah. Jetzt treffen sich beide Lager vor der erneut erreichten Schuldengrenze. Geschieht wieder nichts, gehen die Steuern hoch und schnappen Ausgabenkürzungen zu.
Falls doch ein schneller Kompromiss zustande kommt, wird dieser ein weiteres Element des Spiels enthalten - den Kuhhandel. Irgendwelche absurden Zusätze werden beschlossen, welche der Gesichtswahrung dienen, oder aber widerspenstige Abgeordnete beider Lager anbinden sollen. Das kann bis zu Brückenbauten in deren Wahlkreisen gehen. Oder man ändert Steuerabzüge anstelle von Steuererhöhungen, was die Republikaner schont. Oder man schraubt am Preisindex, um die Renten abzubremsen, was wiederum den Demokraten das Gesicht wahrt.
Doch wer das fast kindliche Spiel aus Distanz betrachtet, fragt sich bald, ob es nicht verantwortungsvoller und erwachsener wäre, die Einschnitte wie beschlossen laufen zu lassen. Die vier Prozent Einbusse würden das Budgetdefizit der USA glatt halbieren und nur noch gleich wie das Bruttoinlandprodukt in Dollar ansteigen lassen. Die Schuldenlast nähme nicht mehr zu. Im Moment wiegt sich Amerika in der dummen Vorstellung, dass in einem solchen Fall viel Nachfrage fehle.
Doch die Idee dauernder Ankurbelung der Nachfrage hat die Schulden angehäuft und dazu geführt, dass die USA 40% ihrer laufenden Staatsausgaben auf Pump aufnehmen. Diese Taktik verunsichert weit herum Firmen, Konsumenten sowie die Chinesen und Araber, die Staatsanleihen zeichnen sollen.
Mit den Einsparungen und Steuererhöhungen wäre die Nachfrage-Manie über Bord geworfen zugunsten der Erwartung, dass dann die Unternehmen endlich investieren, die Konsumenten Vertrauen fassen, die Chinesen wieder Anleihen kaufen. Vertrauen statt Krise. Amerika mutet sich die harte Budget-Kur nicht zu, die man für Portugiesen, Iren oder Spanier dringend empfiehlt. Im Gegenteil: Manche Ökonomen finden es normal, dass die Notenbank notfalls mit erneuter Dollarschwemme alles überbrückt. Ein tristes Spiel, fürwahr.
Finde die Ansicht von Beat Kappeler aus der NZZ am Sonntag noch witzig. Und wie recht er hat...
Amerika muss den Sprung über die fiskalische Klippe nicht scheuen
Die Lage der Finanzen in den USA ist ernst. Dennoch kommt das Gerangel vielen wie das Trotzen von Kindsköpfen vor.
«Würden die Erwachsenen im Saal mal bitte kurz aufstehen», schalt ein Kommentator die Politiker in Washington. Man kann tatsächlich verschiedene Versatzstücke aus der Spieltheorie auf diese ökonomischen und politischen Auseinandersetzungen anwenden. Materiell geht es darum, ob fällige Steuer- und Abgabenerhöhungen einerseits und Ausgabenreduktionen andererseits die Geldflüsse zwischen Staat und Bürgern ab Januar um etwa 4% des Bruttoinlandprodukts senken werden. Viele befürchten eine veritable Wirtschaftskrise. Das Spiel wird Ernst.
Am verständlichsten ist das «chicken game», das Spiel um das ängstlichste Huhn. Jugendliche der USA fahren manchmal im Wagen gegen einander los. Wer zuerst ausweicht, hat verloren. Dies ist auch das Spiel des wiedergewählten Präsidenten, der auf seine gewachsene Gefolgschaft pocht sowie auf sein Programm, nach dem Sieg die Reichen stärker zu besteuern.
Die Führer der republikanischen Partei wiederum wollen sich nicht als Kompromissler gegenüber ihrer Tea-Party-Fraktion zeigen. Eine Mehrheit der Abgeordneten soll dem selbsternannten Aktivisten Grover Norquist feierlich in die Hand geschworen haben, nie höheren Steuern zuzustimmen. Des Weiteren sicherten sich die Republikaner die Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Sie berufen sich also ebenfalls auf des Volkes Willen. Im kompetitiven Amerika gilt jene Seite, die nachgibt, schnell als feiges Huhn.
Ähnlich erklärt das Konzept der «Pfadabhängigkeit» die harte Linie der beiden Seiten. Diese haben nun vier Jahre lang oder länger ihren Pfad, ihre Positionen ausgelegt und von den Wählern bestätigen lassen. Die Parteien sind um innere Geschlossenheit besorgt. Ändert deren Leitung plötzlich die Richtung, droht die Rebellion der Abgeordneten, der Wähler und der Geldspender. Der Präsident und die Führung der Republikaner sind Gefangene ihres bisherigen Pfades.
Immer wieder bemüht wird das Gefangenen-Dilemma. Zwei Übeltäter werden gefasst und getrennt inhaftiert. Beiden verspricht man die Freiheit, wenn sie den anderen anschwärzen. Eine hohe Strafe erhält aber jener, der nicht verpetzt, wenn nur der andere es tut. Angewandt auf Ökonomie und Politik heisst dies, die Interessen und entsprechenden Schachzüge der Gegenseite ernst zu nehmen.
Abgeleitet auf die Fiskal-Diskussion der USA kann es zudem richtig sein, die Unterhändler der Gegenseite zu schonen, also nicht zu petzen und extreme Haltungen einzunehmen. Denn sonst übernehmen möglicherweise die Radikalen der beiden Parteien das Steuer, falls Präsident oder Republikaner-Führung diskreditiert sind. Dem Republikaner John Boehner ist dies schon passiert, als das Repräsentantenhaus letzte Woche gegen seinen Budgetvorschlag rebelliert hatte. Er kann höchstens noch dem Präsidenten drohen, er könne seine Leute nicht mehr zurückhalten, es brauche mehr Kompromisse.
In der Politik finden immer «Spielwiederholungen» statt. Die Unterhändler und ihre Parteien müssen während der ganzen Legislatur Probleme lösen. Verhandlungs-Schulden laufen dabei auf, die einzulösen sind. Nur so bleibt das Vertrauen erhalten. Vor einem Jahr versprachen die Demokraten gewisse für sie schmerzliche Einsparungen. Die Republikaner wiederum stimmten dem Wegfall der Steuerrabatte und einer höheren Schuldengrenze zu.
Diese Massnahmen sollten entfallen, wenn innert Jahresfrist das Budget tragfähiger gemacht worden wäre. Nichts geschah. Jetzt treffen sich beide Lager vor der erneut erreichten Schuldengrenze. Geschieht wieder nichts, gehen die Steuern hoch und schnappen Ausgabenkürzungen zu.
Falls doch ein schneller Kompromiss zustande kommt, wird dieser ein weiteres Element des Spiels enthalten - den Kuhhandel. Irgendwelche absurden Zusätze werden beschlossen, welche der Gesichtswahrung dienen, oder aber widerspenstige Abgeordnete beider Lager anbinden sollen. Das kann bis zu Brückenbauten in deren Wahlkreisen gehen. Oder man ändert Steuerabzüge anstelle von Steuererhöhungen, was die Republikaner schont. Oder man schraubt am Preisindex, um die Renten abzubremsen, was wiederum den Demokraten das Gesicht wahrt.
Doch wer das fast kindliche Spiel aus Distanz betrachtet, fragt sich bald, ob es nicht verantwortungsvoller und erwachsener wäre, die Einschnitte wie beschlossen laufen zu lassen. Die vier Prozent Einbusse würden das Budgetdefizit der USA glatt halbieren und nur noch gleich wie das Bruttoinlandprodukt in Dollar ansteigen lassen. Die Schuldenlast nähme nicht mehr zu. Im Moment wiegt sich Amerika in der dummen Vorstellung, dass in einem solchen Fall viel Nachfrage fehle.
Doch die Idee dauernder Ankurbelung der Nachfrage hat die Schulden angehäuft und dazu geführt, dass die USA 40% ihrer laufenden Staatsausgaben auf Pump aufnehmen. Diese Taktik verunsichert weit herum Firmen, Konsumenten sowie die Chinesen und Araber, die Staatsanleihen zeichnen sollen.
Mit den Einsparungen und Steuererhöhungen wäre die Nachfrage-Manie über Bord geworfen zugunsten der Erwartung, dass dann die Unternehmen endlich investieren, die Konsumenten Vertrauen fassen, die Chinesen wieder Anleihen kaufen. Vertrauen statt Krise. Amerika mutet sich die harte Budget-Kur nicht zu, die man für Portugiesen, Iren oder Spanier dringend empfiehlt. Im Gegenteil: Manche Ökonomen finden es normal, dass die Notenbank notfalls mit erneuter Dollarschwemme alles überbrückt. Ein tristes Spiel, fürwahr.