Israel bereitet einen Militärschlag gegen Irans Atomprogramm vor. Die USA und Europa tolerieren das stillschweigend, weil sie mehr denn je von der iranischen Gefahr überzeugt sind. All die Jahre des Dialogs mit Iran scheinen in Teheran nur Selbstüberschätzung gefördert zu haben. Wird das Land angegriffen, könnte es zum Flächenbrand in der Region kommen.
Der Präsident kämpft an vielen Fronten. Und es sieht nicht gut aus für Mahmud Ahmadinejads politische Zukunft. Noch nie war die Islamische Republik Iran international so isoliert wie jetzt, nach knapp sieben Jahren seiner Präsidentschaft: Alliierte wie der Diktator Bashar al-Asad in Syrien straucheln. Hochgerüstete amerikanische Flugzeugträger pflügen knapp ausserhalb der iranischen Hoheitsgewässer durch den Persischen Golf und demonstrieren die Macht der Gegner Teherans.
Auf den Websites der moderat Konservativen ist zu lesen, diese Regierung habe das Land an die Schwelle des Ruins geführt. Die katastrophale Wirtschaftspolitik und das westliche Embargo haben den Wert der Landeswährung Rial seit Jahresbeginn halbiert. In Teheran wird über die Inflation geschimpft, über den horrenden Dollarkurs, über die Restriktionen beim Bezug von Devisen: Jeder Iraner, der ins Ausland reist, darf gerade einmal 1000 Dollar mitnehmen. Hochzeiten müssen abgesagt werden, weil die Bräutigame sich die Goldgeschenke für die Brautfamilie nicht leisten können, Händler geraten in Schwierigkeiten, weil sie kaum noch von ausländischen Lieferanten importieren können.
Am 2. März sollen in Iran Parlamentswahlen stattfinden, bei denen natürlich auch über Ahmadinejad abgestimmt wird. Vermutlich lässt der 55-jährige Bauingenieur und ehemalige Teheraner Bürgermeister die Ergebnisse frisieren, so wie vor knapp vier Jahren schon. Im Sommer 2009 wurden bei den anschliessenden Protesten fast 100 Personen getötet, das Regime steckte Tausende in die Gefängnisse. Doch damit nicht genug Ungemach für den Herrscher am Berg Damavand, dem höchsten Gipfel im Elburs-Gebirge: Ebenfalls für Anfang März ist Ahmadinejad nach zähem Ringen mit Parlamentspräsident Ali Larijani vor die Abgeordneten zitiert, um ihnen Rede und Antwort zu stehen. Warum er falsche Zahlen zum Wirtschaftswachstum vorlegt, will man wissen, und warum er das Parlament konsequent missachte und zu umgehen versuche.
Taub gegen Propaganda
Und nun bereiten die Israeli auch noch einen Angriff vor. Experten sagen, der könne im Laufe des Jahres erfolgen. Unter den noch 25 000 Juden im Land wächst die Besorgnis. Irans Atomanlagen, etwa in Bushehr, Natanz, Isfahan, sollen zerstört werden. Alle Versuche, das Regime vom Bau einer Atombombe abzuhalten, sind fruchtlos gewesen. Ein gewiefter Taktiker würde nun diese äussere Bedrohung nutzen, um das Volk hinter sich zu scharen und von den internen Problemen abzulenken. Doch für Ahmadinejad verfängt diese Strategie nicht mehr. Über Israel und die Gefahr eines Angriffs auf die neueste Anreicherungsanlage in einem Berg in Fordo, 150 Kilometer südlich von Teheran, wird kaum geredet. Zu oft wurde schon die Gefahr eines Kriegs beschworen, zu dringlich sind die wirtschaftlichen Probleme.
Das war schon einmal anders, vor gut vier Jahren, als US-Präsident George W. Bush laut darüber nachdachte, Irans Atomprogramm mit Gewalt zu beenden. Auch heute würde kaum ein Iraner einen Angriff auf sein Land gutheissen. Das Trauma, von den Arabern im 7. Jahrhundert und von den Briten und Russen im 18., 19. und 20. Jahrhundert besetzt worden zu sein, sitzt tief. Jeder Angriff von aussen stärkt unweigerlich den Nationalismus. So wie damals, kurz nach der Islamischen Revolution. Ayatollah Khomeiny hatte sich zwar zum Führer aufgeschwungen, aber viele, die den Schah gestürzt hatten, wollten keine Diktatur des Klerus. Dann griff der Irak unter Saddam Hussein Iran an. Mit dem Plazet der Amerikaner, die sich vor einer religiösen Diktatur fürchteten. Hunderttausende Iraner zogen in den Krieg. Auf dem Märtyrer-Friedhof Behesht-e Zahra im Süden Teherans sind viele der Gefallenen begraben. Ihre Angehörigen, die an Feiertagen kommen, sind überzeugt, dass sie nicht für Khomeiny gestorben sind, sondern für Iran.
Unzufriedener Ayatollah
Dem wirklich Mächtigen in der Islamischen Republik, dem geistlichen Führer Ayatollah Ali Khamenei, gefällt gar nicht, was er da in Teheran sieht. Dieses Herumfummeln des Präsidenten an den Bilanzen, die sinnlosen Reisen von Ahmadinejad zu dubiosen Freunden wie Fidel Castro, Alexander Lukaschenko oder Hugo Chávez. In den Augen der Kleriker ist Ahmadinejad zu sehr Nationalist und zu wenig Religiöser. Für sie ist der Präsident der Stümper, der die unappetitliche Arbeit auf der Weltbühne erledigt. Seine Drohung, kein Öl mehr zu liefern, läuft ins Leere: Die Europäer kaufen keines mehr, grösster Abnehmer iranischen Öls ist China. Für den Fall, dass Iran die Strasse von Hormuz sperrt, haben andere Golfstaaten vorgesorgt: Die Vereinigten Arabischen Emirate und Oman haben seit Jahren schon Hafenkapazitäten östlich des Eingangs zum Persischen Golf vergrössert, über die ein erheblicher Teil des Warenverkehrs abgewickelt werden kann.
In Iran ist das Verhältnis zwischen geistlichem Oberhaupt und Präsident etwa so wie das zwischen einem Intendanten am Theater und seinem Dramaturgen. Ayatollah Khamenei gibt als Nachfolger von Ayatollah Khomeiny die Richtung vor. Präsident Ahmadinejad ist das Gesicht eines Regimes, das im gesamten Nahen Osten von Israel bis Oman wegen seiner Unberechenbarkeit gefürchtet wird.
Es ist Khamenei, der entscheidet, ob Iran eine Atombombe baut. Er hat in den letzten Jahren über die Kompromissvorschläge der Europäer zum Atomprogramm befunden. Nach denen sollte etwa iranisches Uran in Russland angereichert werden, um es dann zur Energiegewinnung in Irans Atomkraftwerken zu nutzen. Aber Khamenei ging es nicht um Elektrizität. Er will ein Drohmittel, sei das nun eine reale Bombe oder auch nur die Aussicht darauf, diese bauen zu können.
Es macht den Anschein, als habe der Westen mit seinem Dialog und der Suche nach dem Kompromiss, der allen ermöglicht, das Gesicht zu wahren, massgeblich zur Selbstüberschätzung der Iraner beigetragen. So wie Saddam Hussein im Irak 2003 kurz vor Kriegsbeginn noch glaubte, mit der internationalen Gemeinschaft spielen zu können, und nicht erklärte, ob er nun Massenvernichtungswaffen habe oder nicht. Ähnlich scheinen die Mächtigen Irans in der heiligen Stadt Ghom, 150 Kilometer südwestlich von Teheran, zu glauben, das Katz-und-Maus-Spiel lasse sich zumindest so lange fortsetzen, bis die Bombe da sei. Zu oft haben sich die EU und die Internationale Atomenergiebehörde auf immer neue Verhandlungen eingelassen. Sogar US-Präsident Barack Obama hat Teheran nach seinem Amtsantritt den Dialog angeboten. Das war für die Iraner nur Geplänkel, um Zeit zu gewinnen und die Urananreicherung fortzusetzen.
Noch keinen Befehl erteilt
Israelische Geheimdienste und das Militär sind felsenfest überzeugt, dass Iran knapp zwei Jahre von einer Bombe entfernt sei. Für die Israeli ist es dabei unerheblich, dass das geistliche Oberhaupt offenbar noch nicht den Befehl gegeben hat, die Anreicherung waffenfähigen Urans zu beginnen. Verständlicherweise, denn allein die Aussicht, dass Teheran könnte, wenn der Ayatollah es wollte, ist für Israel Bedrohung genug. Der israelische Historiker und Militärexperte Ronen Bergman (siehe Interview) traf in den vergangenen Wochen mehrfach Verteidigungsminister Ehud Barak. Er ist dabei zur Überzeugung gelangt, dass ein Angriff Israels auf Iran im Laufe dieses Jahres sehr wahrscheinlich ist. Viele operative Aspekte einer solchen Operation scheinen kaum lösbar: Wie sollen israelische Kampfjets und Drohnen überhaupt nach Iran gelangen, ohne dass überflogene Länder wie der Irak, die Türkei oder Saudiarabien irgendwann einschreiten? Oder wie soll man angereichertes Material entsorgen, damit es nicht in unbefugte Hände gerät?
Greift Israel an, mit oder ohne Erfolg, ist ein Flächenbrand möglich: Mittelstreckenraketen aus Iran können Israel erreichen. Zehntausende Raketen iranischer Produktion sind von Südlibanon und aus dem Gazastreifen auf Israel gerichtet. Greift Israel nicht an, bestärkt das die Mächtigen in Ghom, dass man mit den Amerikanern, den Europäern, den Israeli und den Arabern spielen kann.
Umso wahrscheinlicher ist es, dass Israels Regierungschef und sein Verteidigungsminister Drohnen und Kampfjets gen Osten schicken werden.
Quelle: NZZ am Sonntag