Holcim wird 100 Jahre alt und ist in einem Formtief
Der Zementhersteller verdient seit vier Jahren seine Kapitalkosten nicht mehr und dürfte am Dienstag einen verhaltenen Ausblick geben. Es gibt dennoch gute Gründe zum Feiern.
Den Auftakt zum hundertjährigen Geburtstag hat sich der Baustoffkonzern Holcim wohl etwas anders vorgestellt: Die erste Mitteilung im Jubiläumsjahr erfolgte am 16. Januar. Es war die Ankündigung eines 775 Mio. Fr. hohen Abschreibers auf Investitionen in Südafrika und Europa.
Solche Buchungsvorgänge alleine bringen in der Firmenkasse zwar keine Veränderung. Doch am kommenden Dienstag wird das Unternehmen Jahreszahlen vorstellen, die auch sonst wenig Erfreuliches zeigen: die Konjunkturflaute und höhere Energiepreise drücken auf die Profitabilität. Vor allem aber schreibt die Firma einen unseligen Trend fort, der bereits seit 2008 anhält: Sie verdient ihre Kapitalkosten nicht. Das heisst, ihre Produktionsanlagen, die mit satten 22 Mrd. Fr. in den Büchern stehen, werfen seit Jahren zu wenig ab, um die Kosten für Fremd- und Eigenkapital zu rechtfertigen. Aus der Sicht kapitalistischer Puristen ist das eine Todsünde.
Es gibt allerdings viele Gründe, das Glas zum Hundertjährigen eher voll als leer zu sehen. Kaum eine andere Schweizer Firma dieser Grösse hat sich in den letzten Jahren so konsequent auf die neue Weltordnung eingestellt wie Holcim: eine Welt, in der die Industriestaaten stagnieren und die Schwellenländer rasch expandieren. Das Unternehmen unterhält 75% seiner Kapazitäten in aufstrebenden Staaten.
Doch anders als eine Nestlé oder Novartis, die sich neue Märkte relativ einfach erschliessen können, hat dieser Umbau bei Holcim ein milliardenschweres Investitionsprogramm ausgelöst. Zement ist nun einmal nicht ein Produkt, das man über Tausende von Kilometern bis zum Endkunden transportieren kann. Es braucht Zementwerke vor Ort, ob das nun in Chile, Marokko oder Vietnam ist.
Dieser Umbau hat immer wieder Kapitalerhöhungen nötig gemacht. Im Jahr 2009, als der Aktienkurs ohnehin unter Druck war, führte Holcim eine Kapitalerhöhung von 2,1 Mrd. Fr. durch. Schon 2006 und 2004 wurden den Aktionären milliardenschwere Kapitalerhöhungen zur Finanzierung der geografischen Expansion zugemutet. Für kurzfristig orientierte Anleger ist das ein Albtraum.
Holcim jedoch plant über Zeiträume von mehreren Jahrzehnten. Zementwerke baut man mit der Absicht, sie während 50 bis 100 Jahren zu betreiben. Dazu gehört immer ein nahe gelegener Steinbruch, der während der Lebensdauer der Fabrik Millionen von Tonnen Kalkstein hergeben muss. Das alles bindet sehr viel Kapital.
Die Wirtschaftstheorie sieht im effizienten Umgang mit Kapital ein Grunderfordernis, das Holcim derzeit nicht erfüllt. In einer derart kapitalintensiven Branche tätig zu sein, hat aber auch seine Vorteile: Die Einstiegsbarrieren für neue global tätige Konkurrenten sind unglaublich hoch. So scheint die Wahrscheinlichkeit gross, dass Holcim weitere runde Geburtstage feiern kann - zumal sich die teuren Investitionen bei einer Beschleunigung der Weltwirtschaft auch auszahlen sollten.
Quelle: NZZ am Sonntag