[SIZE= px]Die Krise stellt auch die Demokratie infrage [/SIZE]
Lange galt sie als Erfolgsmodell, doch heute sieht sich die liberale Demokratie von allen Seiten bedrängt. Wenn der Westen seine Probleme nicht bald löst, droht der Vormarsch der autoritären Marktwirtschaft
Wer sich am WEF die Mühe nahm, auch dem Iglu-Lager der «Occupy»-Bewegung in Davos einen Besuch abzustatten, konnte dort ein Plakat lesen: «Wenn Wählen etwas ändern könnte, wäre es schon lange verboten.»
Diese Skepsis gegenüber demokratischen Instrumenten ist erstaunlich angesichts der Tatsache, dass 2011 vielerorts das Volk auf der Strasse für mehr Mitsprache und mehr Rechte demonstriert hat. So hält denn auch eine Studie der Nonprofitorganisation Freedom House fest, die Demokratie habe vor allem dank dem arabischen Frühling, aber auch den Protesten in Russland weltweit deutliche Terraingewinne verzeichnen können.
Doch die Skepsis war in Davos grösser als die Zuversicht. Weshalb? Weil der Glaube, dass die liberale und marktwirtschaftlich orientierte Demokratie automatisch auch Wohlstand bringt, geschwunden ist. Wenn gar Klaus Schwab, der Zeitgeistspürer an der Spitze des WEF, davon spricht, der «Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Form entspreche nicht mehr länger der Welt um uns herum», weiss man, was es geschlagen hat.
Nach 1945 waren Demokratie und Wohlstand ein Begriffspaar wie siamesische Zwillinge. Es war den westlichen Demokratien gelungen, sich gegen den braunen Totalitarismus durchzusetzen. Dann wurde auch
der rote Totalitarismus gestoppt: Der materielle Überfluss im Westen, verbunden mit persönlichen Freiheiten, erwies sich als unwiderstehlicher Magnet für die Völker des Ostens, die dem drögen Alltag im realen Sozialismus immer weniger Positives abgewinnen konnten. Unter Politikern wie Politologen galt als Axiom, dass Freiheit zu mehr Wohlstand führe oder mehr Wohlstand zu grösserer Freiheit.
Mit der Finanzkrise hat dieser vermeintliche Königsweg für die gesellschaftspolitische Entwicklung seinen Vorbildcharakter verloren. Statt Wohlstand grassiert in Europa Arbeitslosigkeit. Griechenland, Portugal oder Irland erleben gerade eine spürbare Reduktion ihres Lebensstandards, die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien beläuft sich auf unglaubliche 45 Prozent. In den USA ist das Bild nicht viel besser. Die «Occupy»-Bewegung legt ihren Finger auf einen weiteren wunden Punkt: die stark gewachsenen Diskrepanzen in der Einkommensverteilung.
Um die demokratischen Freiheiten steht es im Westen nicht mehr so gut wie auch schon. In den USA lässt sich kein Konsens mehr zur Bewältigung der grossen Probleme des Landes finden. Geld und Lobbyismus haben das politische Klima völlig vergiftet. In Europa verlieren die etablierten Parteien Wähler, dafür erfreuen sich Rechtspopulisten eines starken Zulaufs. Die Politik scheint unfähig zu sein, die bestehenden Probleme zu lösen. So haben sich die Zentralbanker, die ernannt und nicht gewählt werden, zu den Schlüsselfiguren dieser Krise gemausert.
So ist es nicht erstaunlich, dass die Suche nach einem vermeintlich besseren politischen Modell bei der gelenkten Demokratie oder der autoritären Marktwirtschaft stehenbleibt. Länder wie China, Singapur, aber auch Petro-Staaten wie Dubai scheinen zu beweisen, dass materielle Fortschritte ohne Ausweitung der persönlichen und demokratischen Freiheiten möglich sind. Zudem macht es den Eindruck, solche Länder könnten rascher und effizienter handeln, was es ihnen erlaubt hat, die Finanzkrise ohne grössere Einbrüche zu bewältigen.
Dieses Beispiel könnte in der arabischen Welt Schule machen. Auch wenn in Davos die Aussichten des arabischen Frühlings eher positiv eingeschätzt wurden, so zeichnet sich ab, dass dort keine liberalen westlichen Demokratien entstehen. Die grossen Wahlsieger, die Muslimbrüder, könnten vielmehr versucht sein, eine arabische Variante des chinesischen Modells einzuführen. Können sie genügend Jobs schaffen, dürften sie auch den Schleier auf der Strasse - falls sie dies wollen - leichter durchsetzen.
So sieht sich die liberale Demokratie von allen Seiten bedrängt - von innen wie von aussen. Sie steht vor fundamentalen Herausforderungen. Angela Merkel, die Politikerin aus dem einst sozialistischen Osten Deutschlands, wies in Davos auf den entscheidenden Punkt hin: Die westlichen Demokratien müssen jetzt beweisen, dass sie Probleme lösen können, statt sie den kommenden Generationen aufzubürden. Diesem Befund ist zuzustimmen. Denn sonst steigt die Attraktivität der gelenkten Demokratie - Frankreich etwa experimentiert mit einem Staatsfonds. Es droht dann ein System, das weniger Freiheit und Demokratie, dafür mehr Machtmissbrauch und Korruption bringt. Das wäre, trotz möglichen Erfolgen an der materiellen Front, für den einzelnen Bürger kein Gewinn. Auch das lässt sich am Beispiel China ablesen.
Quelle: NZZ
Lange galt sie als Erfolgsmodell, doch heute sieht sich die liberale Demokratie von allen Seiten bedrängt. Wenn der Westen seine Probleme nicht bald löst, droht der Vormarsch der autoritären Marktwirtschaft
Wer sich am WEF die Mühe nahm, auch dem Iglu-Lager der «Occupy»-Bewegung in Davos einen Besuch abzustatten, konnte dort ein Plakat lesen: «Wenn Wählen etwas ändern könnte, wäre es schon lange verboten.»
Diese Skepsis gegenüber demokratischen Instrumenten ist erstaunlich angesichts der Tatsache, dass 2011 vielerorts das Volk auf der Strasse für mehr Mitsprache und mehr Rechte demonstriert hat. So hält denn auch eine Studie der Nonprofitorganisation Freedom House fest, die Demokratie habe vor allem dank dem arabischen Frühling, aber auch den Protesten in Russland weltweit deutliche Terraingewinne verzeichnen können.
Doch die Skepsis war in Davos grösser als die Zuversicht. Weshalb? Weil der Glaube, dass die liberale und marktwirtschaftlich orientierte Demokratie automatisch auch Wohlstand bringt, geschwunden ist. Wenn gar Klaus Schwab, der Zeitgeistspürer an der Spitze des WEF, davon spricht, der «Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Form entspreche nicht mehr länger der Welt um uns herum», weiss man, was es geschlagen hat.
Nach 1945 waren Demokratie und Wohlstand ein Begriffspaar wie siamesische Zwillinge. Es war den westlichen Demokratien gelungen, sich gegen den braunen Totalitarismus durchzusetzen. Dann wurde auch
der rote Totalitarismus gestoppt: Der materielle Überfluss im Westen, verbunden mit persönlichen Freiheiten, erwies sich als unwiderstehlicher Magnet für die Völker des Ostens, die dem drögen Alltag im realen Sozialismus immer weniger Positives abgewinnen konnten. Unter Politikern wie Politologen galt als Axiom, dass Freiheit zu mehr Wohlstand führe oder mehr Wohlstand zu grösserer Freiheit.
Mit der Finanzkrise hat dieser vermeintliche Königsweg für die gesellschaftspolitische Entwicklung seinen Vorbildcharakter verloren. Statt Wohlstand grassiert in Europa Arbeitslosigkeit. Griechenland, Portugal oder Irland erleben gerade eine spürbare Reduktion ihres Lebensstandards, die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien beläuft sich auf unglaubliche 45 Prozent. In den USA ist das Bild nicht viel besser. Die «Occupy»-Bewegung legt ihren Finger auf einen weiteren wunden Punkt: die stark gewachsenen Diskrepanzen in der Einkommensverteilung.
Um die demokratischen Freiheiten steht es im Westen nicht mehr so gut wie auch schon. In den USA lässt sich kein Konsens mehr zur Bewältigung der grossen Probleme des Landes finden. Geld und Lobbyismus haben das politische Klima völlig vergiftet. In Europa verlieren die etablierten Parteien Wähler, dafür erfreuen sich Rechtspopulisten eines starken Zulaufs. Die Politik scheint unfähig zu sein, die bestehenden Probleme zu lösen. So haben sich die Zentralbanker, die ernannt und nicht gewählt werden, zu den Schlüsselfiguren dieser Krise gemausert.
So ist es nicht erstaunlich, dass die Suche nach einem vermeintlich besseren politischen Modell bei der gelenkten Demokratie oder der autoritären Marktwirtschaft stehenbleibt. Länder wie China, Singapur, aber auch Petro-Staaten wie Dubai scheinen zu beweisen, dass materielle Fortschritte ohne Ausweitung der persönlichen und demokratischen Freiheiten möglich sind. Zudem macht es den Eindruck, solche Länder könnten rascher und effizienter handeln, was es ihnen erlaubt hat, die Finanzkrise ohne grössere Einbrüche zu bewältigen.
Dieses Beispiel könnte in der arabischen Welt Schule machen. Auch wenn in Davos die Aussichten des arabischen Frühlings eher positiv eingeschätzt wurden, so zeichnet sich ab, dass dort keine liberalen westlichen Demokratien entstehen. Die grossen Wahlsieger, die Muslimbrüder, könnten vielmehr versucht sein, eine arabische Variante des chinesischen Modells einzuführen. Können sie genügend Jobs schaffen, dürften sie auch den Schleier auf der Strasse - falls sie dies wollen - leichter durchsetzen.
So sieht sich die liberale Demokratie von allen Seiten bedrängt - von innen wie von aussen. Sie steht vor fundamentalen Herausforderungen. Angela Merkel, die Politikerin aus dem einst sozialistischen Osten Deutschlands, wies in Davos auf den entscheidenden Punkt hin: Die westlichen Demokratien müssen jetzt beweisen, dass sie Probleme lösen können, statt sie den kommenden Generationen aufzubürden. Diesem Befund ist zuzustimmen. Denn sonst steigt die Attraktivität der gelenkten Demokratie - Frankreich etwa experimentiert mit einem Staatsfonds. Es droht dann ein System, das weniger Freiheit und Demokratie, dafür mehr Machtmissbrauch und Korruption bringt. Das wäre, trotz möglichen Erfolgen an der materiellen Front, für den einzelnen Bürger kein Gewinn. Auch das lässt sich am Beispiel China ablesen.
Quelle: NZZ